Die 2014 ISDE in Argentinien sind Geschichte.
Frankreich ist zum dritten Mal in Folge als Sieger aus den Olympischen Spielen des Enduro-Sportes hervorgegangen. Ein gewaltiger Anlass, der auf dem südlichen amerikanischen Kontinent stattgefnden, Millionen von Menschen weltweit begeistert und den Teilnehmern alles abverlangt hat.

Die härteste aller «six days»..
Die diesjährige Ausführung wird als härtester Wettbeberb aller ISDE’s in die Geschichte eingehen. Am Dienstag gingen gerade noch 289 (!) Fahrer an den Start, am Mittwoch schieden weitere 111(!) aus, die den Strapazen nicht mehr gewachsen waren oder durch technische Defekte ausschieden. Am Donnerstag musste der Veranstalter reagieren und kürzte die Etappen massiv, so dass der Wettbewerb doch noch zu bewältigen war. Es fanden dann bis am Samstag aber bei Weitem nicht alle das Ziel.

Mein Bruder und ich reisten ja bekanntlich mit dem zweiten Schweizer Fahrer und dessen Betreuer eine Woche vorher an. Wir traffen auf unerwartete Hindernisse, zuvorderst das Essen,  welches mir gar nicht gut bekam. Ich litt volle vier Tage an Fieber und Durchfall, bis kurz vor dem Start des wichtigsten Rennens meines Lebens. Wen wunderts? Mich jedenfalls nicht mehr, zu oft werde ich vom Pech verfolgt. Manchmal denke ich, dass dies unmöglich mit rechten Dingen zugeht.. Naja…

Gleich nach der Ankunft kümmerte sich Urs um das Zusammenstellen des Motorrades, welches ja mit dem Deutschen Nationalteam per Schiffskontainer hinverfrachtet wurde. Ich marschierte in dieser Zeit tagelang die elf Sonderprüfungen bei brütender Hitze ab und lernte eine völlig neue Dimension von Bodenverhältnissen kennen! Sand, Steine, Fech Fech (feiner pulvriger Sand) wechselten sich in einer teils kargen Landschaft ab. Der argentinische Boden ist überhaupt nicht mit europäischem Boden zu vergleichen. Ich glaube, dass ich nie eine grüne Wiese sah und höchstens mal 20Meter Flussüberquerung. Das Schlimmste war aber der Staub, der einem die Sicht raubte.

Egal, ich war da um Rennen zu fahren, ich war sicher, dass ich mich anpassen konnte. Punkt.

Für mich waren die ISDE absolutes Neuland. Die Organisation war sensationell! Das Paddock glich einer Forteresse, überall Polizei und Wachen. Der Verkehr wurde eigens für uns geregelt, wir wurden bevorzugt behandelt, wo es nur ging. Die administrative und technische Kontrolle meisterten wir auf Anhieb, auch wenn mein Bike grenzwertig bei der Lärmmessung durch kam.

Die Ernärung war eine Katastrophe!
Wie schon erwähnt; einzig die Ernährung war linde gesagt eine Katastrophe. Da konnte aber der Veranstalter nichts dafür. Wir erhielten in unserem Hotel tagelang keine Kohlenhydrate in Form von Teigwaren, erst nach ausüben von Druck wurde uns jeweils ein Blech voller, meist verkochter Pasta hingestellt.

Dann war Tag 1 angesagt. Wie auf Knopfdruck verschwand das Fieber und meine Verdauungsstörungen! Ich spührte zwar deutlich, dass mein Körper ein wenig ausgelaugt war und zu wenig Energie besass, aber ich fühlte mich gut. Nach dem Start war ich so glücklich, dass ich vor Freude weinte. Endlich bin ich unterwegs und ich fühlte mich soo gut auf meinem Bike!
Die erste Überführung war alles auf Schotterwegen hinter San Juan und bereits säumten X-Zuschauer die Piste, riefen, winkten und und und… Wie in einem Film gings ab. An diesem Morgen herschten erstaunlich eisige Verhältnisse, meine Hühnerhaut war aber eher emotioneller Art gesteuert 🙂

Die erste Sonderprüfung war dann der Beginn des Ernstes.
Schön angelegt, aber da machte ich die Bekanntschaft mit dem rutschigen Fech Fech Untergrund. Ich liess mich nicht aus dem Konzept bringen und fuhr zügig durch.
Die SP2 war halb auf rollenden Steinen und Stein/sandigem Untergrung am Rande eines türkisblauen Stausee’s. Auch da fuhr ich zügig durch.
Dann die Verbindungsetappe von zwei nach drei. Beim Briefing hatte man uns gewarnt, dass diese extrem anstrengend sein würde. Leute, so was zermürbendes habe ich noch nie erlebt!  1 1/4 Stunden ohne jemals absitzen zu können von einem Loch ins andere! Bloody hell, wo haben die die ganzen Steinen nur hergeholt?!

Es staubte was das Zeug hielt!
Es war wirklich sehr anstrengend. Manchmal dachte ich, dass wenn ich so fahre, ich wohl nie ins Ziel kommen werde. Dann pushte ich mich, sagte mir, dass ich schon x-fach solche mentalen Hürden genommen hatte und fuhr einfach weiter. Ich wusste nicht, dass zu diesem Zeitpunkt bereits viele Mitbewerber die Segel gestrichen hatten. Angekommen an der Zeitkontrolle war ich sicher, Zeit verloren zu haben… Nichts da, ich hatte sogar noch 6 Minuten übrig 🙂

Alles nach Plan.
Woaw, es lief also so wie ich es geplant hatte, schon in den vorgängigen ZK’s hatte ich jeweils knapp 10 Minuten Vorsprung, was mir jeweils locker reichte um zu tanken, essen und die Technik zu warten.
Ich fuhr also guter Dinger weiter und trotzte den Widrigkeiten. Dann bei ca 3/4 des Rennens passierte es! In einer der Verbindungsetappen erwischte ich einen Staubhaufen, wie ich schon tausende davon durchfuhr. Ich schlug gegen einen verdeckten Felsbrocken auf, der meine Fahrt abrupt stoppte!

Ich flog ca. 30 Meter durch die Luft und schlug hart auf!

Ich muss benommen gewesen sein, jedenfalls sah ich als nächstes den Helm eines Brasilianers, der hinter mir fuhr und dachte, dass ich nach diesem Sturz tot sei. Ich versuchte mich aufzurichten, konnte mich aber nicht bewegen (!) Ein stechender Schmerz in meiner Linken Schulter, meinen rechten Rippen und Ellenbogen bohrten mir das Gehirn aus. Mein Gott, was ist los?! Überall lagen leuchtgelbe Plastiktrümmer meines Helmes rum, das Motorrad lag weit weg von mir, mit gebrochener Lampe und ich kriegte kaum Luft!
Der Brasilianer versorgte mich kurz und holte Hilfe. Ich konnte mich noch immer nicht bewegen, ich hatte Schmerzen bis zum abwinken. Irgendwann kamen zwei Jungs daher, die vier Kilometer durch die Wüste gerannt waren um mir zu helfen(!)
Die einzige Möglichkeit mich zu bergen war der Helikopter. Ich wollte das nicht, ich wollte fahren! Die Jungs halfen mir das Motorrad aufzustellen und dann kamen die schwierigsten sieben Kilometer meines Lebens (!) Ich fuhr der Ohnmacht nahe auf der Überführungsetappe bis zur nächsten ZK zum Teamposten. Ich konnte links den Lenker nicht halten, konnte nicht stehen und spührte jede/n/s einzelnen Stein, Felsen, Loch, Welle, und und und. Ich musste mehrfach anhalten und Kraft schöpfen. Ich schrie vor Schmerzen, aber ich wollte nicht aufgeben. Endlich angekommen war auch gleich ein Physiotherapeut zur Stelle, der einen Bänderabriss an der Schulter und eine eventuelle Kapselverletzung vermutete. Die Rippen waren wohl gebrochen und der Ellenbogen stark geprellt.

Ich verlor bis dahin soviel Zeit, dass ich aus der Wertung fiel.

Dann sah man, was das Deutsche Team drauf hatte!
Blitzartig wurde nach einer Strategie gesucht. Ich wurde auf der Strasse ins Paddock geschickt (gemäss Reglement musste ich aus eigener Kraft hinfahren), dort wartete schon mein Bruder auf mich. Da ich aus dem Rennen genommen wurde, blieb mir die Möglickeit eines Re-Starts am nächsten Tag (1x pro Team/ Woche). Mein Bruder reparierte mein Motorrad (erlaubt bei einem Re-Start, ansonsten muss ja der Fahrer alles selber machen), ich war zu nichts mehr in der Lage, danach schaffte ich es häp chläpp, das Bike in den Parc Fermé zu stossen, nachdem eine neue technische Abnahme durchgeführt wurde.

Dann ab ins Hotel, wo ich behandelt wurde. Die Physios des Deutschen Teams sind Profis durch und durch, die seit Jahren dabei sind und sich um Profisportler kümmern. Sie versuchten alles um mich fit zu kriegen. Dann ging ich schlafen.

Am nächsten Morgen war alles noch viel schlimmer..
..
ich war völlig am A…. Ich hatte kein Auge zugedrückt und hatte Schmerzen ohne Ende… Schweren Herzens musste ich mich dann gegen ein Weiterfahren entscheiden. Das Risiko war nicht mehr abzuschätzen, ein weiterer Sturz auf die Schulter hätte eine schlimme Verletzung provozieren können. Dazu kam, dass ich absolut keine Kraft aufbringen konnte, ich war nicht einmal in der Lage eine stehende Liegestütze zu machen oder meine Schuhe selber zu binden.

Monatelange Vorbereitungen, intensives Training, eine grosse finanzielle Belastung fanden so jäh ein Ende auf der anderen Seite des Globusses, ich entschied abzubrechen.

Ich bin schwer enttäuscht und habe noch heute, während ich diese Zeilen beim Rückflug schreibe, Schmerzen, die mich an den Sturz erinnern. Am meisten frustriert mich jedoch, dass ich absolut auf der Höhe der Zeiten war, die einzuhalten waren. Ich fuhr konstant um den 82-85 Platz und verfügte über genügend Reserven, um auch dem zweiten Tag Herr zu werden (wir fuhren auf der gleichen Strecke- in der Regel fährt man am zweiten Tag schneller, weil man ungefähr weiss was einen erwartet), wo die Zeiten dann gekürzt wurden. Ob ich den härtesten dritten Tag ebenfalls überstanden hätte, werde ich leider nie erfahren, aber ich hätte bis zuletzt gekämpft, konditionnel war ich parat.

Schweiz «zero points»
Das Schweizer Team erlitt am zweiten Tag dann sogar noch einen Totalausfall, nachdem Robert Kamber unglücklich auf den Kopf stürzte und sich danach an nichts mehr erinnern konnte. Zum Glück war er nach 24Std Ruhe wieder wohlauf.

Danach galt es, das Motorrad zu demontieren und bereit für den Transport zu machen. Den Rest der Woche verbrachten wir damit, das Rennen zu verfolgen und hie und da dem Deutschen Team auszuhelfen.

Eine verrückte Situation, die Weltspitze auf der selben Piste zu sehen, auf welcher ich selber fuhr. Ich konnte so viel lernen und auch ein paar interessante Bekanntschaften aus anderen Ländern schliessen.

Nach meiner Rückkehr werde ich mich untersuchen lassen, danach entscheide ich über meine sportliche Zukunft, in welcher Form sie weiter gehen wird. Eigentlich war es nicht mein Plan “so” auszusteigen, anderseits hat die Vernunft gesiegt. Und meine beiden Töchter sehen mich auch so als Weltmeister, was will ich mehr? 🙂

Irgendwann wird der Humor und die Freude an meinem geliebten Sport zurück kehren, da bin ich mir sicher!

Herzlichen Dank!
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei all jenen bedanken, die mir dies ermöglicht haben! An erster Stelle meinem Bruder Urs, der seine Ferien geopfert hat, um mich ans andere Ende der Welt zubegleiten, meiner Frau Sandra, meiner Familie, meinen MitarbeiterInnen, die mir den Rücken freihalten aber auch insbesondere meinen Sponsoren, die sich teils zusätzlich für die “six days” engagiert haben, meinen Supportern, Bekannten und Freunden. Ein spezieller Dank geht auch an Dr, Rist, Dr. Denzler, Dr. Goricki, den Physios Tanja Rohrer, Sabine von Salis und meiner Trainerin Sarah Rüfenacht von der Rennbahnklinik, die mich “just in time” in top Form gebracht haben, DANKE!!!

Es haben mich in der letzen Woche über 10’000 Personen auf Facebook verfolgt, wo ich täglich einen Bericht verfasst hatte. Das zeigt mir, das ungebrochene Interesse an meinen Aktivitäten und ich freue mich auch,  meine Emotionen auf diesem Weg teilen zu dürfen.

Nun geht eine lange Saison zu Ende.
Trotz der erzwungenen Niederlage ziehe ich überaus Positives aus der Saison 2014 heraus. Zwei Operationen und das Nierenversagen haben mich geschwächt, dennoch beende ich die Schweizermeisterschaft auf dem Podest und konnte nun gar noch an den Olympischen Spielen des Enduro-Sportes teilnehmen! Ich konnte auch in diesem Jahr wiederum eine attraktive Werbeplattform für meine Sponsoren betreiben und meine Aktivitäten finden ungebrochen Interesse, so dass eine «Win-Win» Situation gegeben ist.

In diesem Sinn wünsche ich ein gutes “Überwintern” und freue mich schon bald wieder in meiner geliebten Schweiz zu landen!

Hasta luego!

Rolf